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Die Nachtigal von Schornibur von Renate Schmid

In einem fernen Land des Orients lebte einst ein junges Mädchen. Es hütete ganz allein die Schafe ihres Vaters in einer blühenden Oase, umgeben von einer riesigen Wüste, vermischt mit kargen Felslandschaften. Sie war ein fröhliches Wesen und vor allem, sie konnte mit ihrer glockenhellen Stimme die schönsten Lieder singen. Jeder der sie kannte, nannte sie die Nachtigall von Schornibur.

Auch die Schafe waren davon angetan und so blieben sie freiwillig in ihrer Nähe. So hatte sie es sehr leicht, sie zu hüten und Verluste hatte sie bis jetzt noch nie gehabt. Eines Tages tauchte in ihrer Nähe ein wilder Löwe auf, der das ganze beobachtete. Er rechnete sich schon aus, wie leicht er doch hier Beute machen könnte. Langes zeitraubendes Jagen würde ihm erspart bleiben und er könnte so auch länger im Schatten vor sich hindösen. Das war für ihn eine äußerst verlockende Vorstellung. Er hatte sich hinter einem Felsen versteckt und beobachtete die Herde.

 

 

Er machte sich bereit zum tödlichen Sprung, sein Körper vibrierte und er leckte sich schon das Maul, als er den Gesang des Mädchens hörte. Tief bewegt blieb er liegen und er hörte zu. Er vergass, was er vor hatte.  Unverrichteter Dinge ging er wieder nach Hause, um dann mit den anderen Rudelmitgliedern auf die Jagd zu gehen. Doch er hütete sein Geheimnis und vermochte es nicht, dieses Schlaraffenland, das er entdeckt hatte, preiszugeben. So ging es eine ganze Weile, der Gesang hinderte ihn am Töten und entfaltete statt dessen in ihm die Vision, er sei satt und könne nach Hause gehen. Mit der Zeit ging eine erstaunliche Entwicklung in dem Löwen vor. Er hatte immer weniger Spass am Töten, und er begann sich zu verändern. Das Rudel bemerkte das und stieß ihn dann aus, zog ohne ihn in andere weitentfernte Jagdgründe weiter. Er war dadurch zum Einzelgänger geworden. Er suchte immer mehr die Nähe des Mädchens auf. Eines Nachts fiel er in einen tiefen Traum. Es war ihm als sei er gestorben und liefe nun in einem fremden Land herum. Überall sah er Schafe und als er gerade kurz davor war, eines von ihnen zu töten, wurde ihm von einer zarten Frauenhand eine Frucht gereicht und er fraß diese mit Heißhunger auf. Und eine ihm vertraute Stimme sagte: „Du hattest vergessen, dass du nicht töten mußt, um satt zu werden. Du hattest vergessen, dass du ein Geschöpf der Liebe bist und  Liebe tötet nicht, sie bewahrt das Leben“.

Diesen Traum hatte er mehrere Male und auf einmal wusste er, was zu tun war. Es ging ihm zwischenzeitlich bereits sehr schlecht. Er war abgemagert, weil er bereits seit längerer Zeit keine Mahlzeit mehr hatte. So traute er sich und zeigte sich dem Mädchen. Sie war keineswegs überrascht und hatte überhaupt keine Angst vor ihm. Sie sah ihn liebevoll an und meinte: „Na endlich, kommst du zu mir. Ich wusste schon lange, dass du dort oben bist und was du vorhattest. Du hast es geschafft, deinen Gelüsten Einhalt zu gebieten.“ Der Löwe entgegnete: „Ohne deine magische Hilfe hätte ich das nicht geschafft“. „Oh nein“, meinte sie lächelnd, nicht ich war es. Du selbst hast dich für die Botschaft der Liebe geöffnet, denn es ist die Magie der Liebe, die uns alle miteinander verbindet“.

 

Von diesem Tag an blieb der Löwe bei dem Mädchen und er hütete mit ihr zusammen die Schafherde. Er bekam von ihr das wunderbarste Essen vorgesetzt, das er noch vor wenigen Wochen niemals angerührt hätte, weil er es nicht kannte. Bis dahin war es für ihn selbstverständlich gewesen, zu jagen, um dann das Fleisch seiner erlegten Beute zu fressen.  Doch auch die anderen Menschen, die dies anfangs nicht verstehen konnten und vor dem Löwen Angst hatten und ihn deshalb am liebsten töten wollten, wurden eines besseren belehrt. Der Löwe lag neben den Schafen, aus dem Raubtier war ein friedliches Tier geworden und sie akzeptierten das.

 

Also: Urteile nicht oberflächlich über das was du äußerlich glaubst zu sehen, du könntest getäuscht werden und lasse dich niemals leiten von deiner Angst. Oftmals verbirgt die äußere Erscheinung das wahre Wesen. Du musst dir schon Mühe geben, hinter eine Fassade zu blicken, ehe du dir eine Meinung bildest und danach handelst.

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Kommentare: 1
  • #1

    Olaf (Samstag, 05 Januar 2019 20:22)

    Einfach wunderbar, habe feuchte Augen, passiert immer wieder.
    meine Antwort ist sehr passend da zu.
    https://www.youtube.com/watch?v=zdLTRH96NEI
    Gott hat keine Raubtiere erschaffen
    Liebe Grüße , Olaf vom Kanal MrLordOlaf